Die Habsburger in Italien (1368–1918)

Andrea Pradelli
7 min readDec 28, 2020

Wenn man an die italienische Geschichte denkt, fallen einige Familien ein: zum Beispiel die Medici, die Gonzagas, die Savoyas. Die meisten würden die Familie vergessen, die in der Neuzeit den größten Einfluss auf Italien hatte. Es handelt sich um die Habsburger, die damals mächtigste Familie Europas. Insgesamt haben die Habsburger von 1368 bis 1918 verschiedene Gebiete in Italien beherrscht.

Es ist schwer, sich ein definitives Urteil über die habsburgische Regierung in Italien zu bilden, und Historiker haben oft darüber debattiert. Mit der Entwicklung des italienischen Nationalismus, und besonders nach der Vereinigung Italiens, wurden die Habsburger zum Symbol der ausländischen Unterdrückung Italiens, des Absolutismus und der Tyrannei. Österreich war der Feind des „Risorgimento“ und deshalb an der Rückständigkeit Italiens schuld. Der erste Weltkrieg und die faschistische Diktatur haben diese Rhetorik verstärkt. Heute wurde das Urteil teilweise verändert, und viele Historiker behaupten, dass die habsburgische Herrschaft den Italienern auch viele Vorteile gebracht hat.

Seit dem Mittelalter war fast ganz Norditalien Teil des Heiligen Römischen Reiches, aber nach der Schlacht von Legnano (1176) hatten die italienischen Gemeinden und Regionalstaaten eine fast absolute Autonomie von dem Kaiser bekommen. Obwohl viele Staaten (i.e. das Herzogtum von Mailand) kaiserliche Lehen waren, war die Autorität des Kaisers nur formell. Natürlich gab es Ausnahmen. 1368 wurde die Grafschaft Tirol (mit Trient und Bozen) Teil der habsburgischen Erbländer, obwohl sie bis 1796 formell unabhängige Staaten blieben. 1382 beschloss die Stadt Triest, sich Österreich zu unterwerfen, um sich vor der Hegemonie von Venedig zu schützen. Trient und Triest blieben bis 1919 Teil der Habsburgermonarchie. Nach der Vereinigung Italiens wurden sie als „Terre Irredente“ (nicht befreite Länder) bezeichnet, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung mit der Monarchie einverstanden war.

1494 fiel Karl VIII von Frankreich in Italien ein, um den Thron von Neapel zu bekommen. Obwohl seine Expedition misslang, war es der Anfang der Italienischen Kriege (1494–1559), die von den französischen Valois und den hispanischen und österreichischen Habsburgern um die Hegemonie in Italien und Europa gekämpft wurden. 1504 hatten die Habsburger das Königreich von Neapel von dem ehemaligen Haus von Aragona bekommen, 1516 konnten sie Sizilien ihren Besitzungen hinzufügen. Mit der Krönung von Karl V als König von Spanien (1516) und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wurden die Habsburger die Großmacht Europas, aber sie hatten den Krieg mit Frankreich noch nicht gewonnen. Das Herzogtum von Mailand war für beide Gegner strategisch, da es die Verbindung zwischen Italien und Mitteleuropa sicherte. Nach der harten Schlacht von Pavia (1525), in dem der König von Frankreich verhaftet wurde, versicherten die Habsburger die Herrschaft über Mailand und ein großes Teil der Lombardei. 1535 starb das letzte Mitglied der Familie Sforza und Karl V wurde Herzog von Mailand. 1556 dankte Karl V ab und beschloss, seine Besitzungen zwischen seinem Sohn Philip II und seinem Bruder Ferdinand zu teilen: der erste bekam die hispanischen Länder, die amerikanischen Kolonien, die Niederländer, Mailand, Neapel und Sizilien, der zweite Österreich und das Heilige Römische Reich, Tirol und Triest inbegriffen. Das Haus Habsburg wurde deshalb zwischen dem hispanischen und dem österreichischen Teil aufgeteilt. Mit dem Frieden von Cateau-Cambrésis (1559) begann in Italien die hispanische Herrschaft, die bis 1714 dauerte.

Dieses Zeitalter wird oft mit dem Untergang Italiens verbunden. Die Aufklärung und der italienische Nationalismus, besonders mit dem berühmten Roman I Promessi Sposi (Die Brautleute), haben die hispanische Regierung als korrupt, despotisch und unfähig beschrieben. Nach vielen italienischen Intellektuellen war Spanien an dem ökonomischen und kulturellen Untergang schuld. Heute debattieren die Historiker über diese Meinung. Obwohl Italien in dem 17. Jahrhundert wirklich an Kultur und Wirtschaft eingebüßt hat, sind die Spanier nicht die einzigen Schuldigen. Mit der Entdeckung Amerikas, hatte Italien seine Zentralität nämlich in der Weltwirtschaft verloren. Seine Manufakturen und Banken waren nie mehr mit den niederländischen und englischen wettbewerbsfähig, da sie wegen der Macht der Zünfte höhere Lohnkosten hatten. In Norditalien wurden auch viele Kämpfe zwischen Spanien und Frankreich ausgetragen, von denen der berühmteste der Erbfolgekrieg von Mantua (1630) war, der auch die Pest nach Norditalien brachte. Trotzdem blieb Italien wegen der hispanischen Herrschaft (die so genannte Pax Hispanica) von den größten europäischen Kriegen des 17. Jahrhunderts verschont. Die italienischen Besitzungen hatten eine starke Autonomie und waren in der Consejo Supremo de Italia in Madrid repräsentiert. In Neapel und Sizilien hatten die Spanier erfolglos versucht, die Macht der Adligen einzugrenzen.

Nach dem Tod des kranken Karl II (1700) starb der hispanische Zweig der Habsburger aus. Die französischen Bourbonen und die österreichischen Habsburger begannen dann den hispanischen Erbfolgekrieg. Darauf folgten der polnische und der österreichische Erbfolgekrieg, am Ende bekamen die Österreicher die direkte Herrschaft über Mailand und einen großen Einfluss über die Herzogtümer von Parma und Modena und vor allem das Großherzogtum der Toskana. In Mailand führten Maria Theresia und Joseph II wichtige ökonomische und verwaltungsmäßige Reformen an, und dasselbe machte Peter Leopold in der Toskana. Freihandel wurde eingeführt, die Verwaltung wurde verbessert, die Vorteile der Adligen und der Kirche wurden reduziert und diese wurden gezwungen, Steuern zu bezahlen. Der Grundschulunterricht wurde obligatorisch und direkt von dem Staat betrieben. In der Toskana wurde auch das Todesurteil abgeschafft: das Großherzogtum Toskana war der erste Staat in Europa, der eine solche Entscheidung traf. Es war die Epoche des Aufgeklärten Absolutismus, das heißt, die Herrscher versuchten, den Prinzipien der Aufklärung zu folgen. Die wichtigste Reform war das theresianische Grundbuch. Die Grenzen des Grundbesitzes wurden schließlich festgelegt und alle Besitzer- Adlige inbegriffen- mussten eine Steuer von 4% des Einkommens bezahlen. Das veranlasste die Besitzer, in technologische Entwicklung zu investieren. Nach vielen Historikern war das Grundbuch der Ausgangspunkt der kapitalistischen Entwicklung und der Industrialisierung der lombardischen Wirtschaft. Derzeit wurde Mailand eine der Hauptstädte der Aufklärung, in der viele Intellektuelle wie Cesare Beccaria, Pietro Verri und Giuseppe Parini an der Stadtregierung teilnahmen. 1719 wurde Triest Freihafen, und das führte zu einer eindrucksvollen ökonomischen und kulturellen Entwicklung. Trotzdem war es nicht immer einfach, die Beziehungen zwischen Wien und Italien zu führen. Als Joseph II versuchte, die Monarchie zu zentralisieren, verlor er die Stütze der italienischen Aufklärer, die von Frankreich beeinflusst waren.

Nach den napoleonischen Kriegen verstärkte der Wiener Kongress die österreichische Herrschaft in Italien. Lombardei und Venetien wurden an das neue Österreichische Kaiserreich annektiert, Modena wurde von dem Zweig Habsburg-Este regiert, Toskana von einem zweiten Zweig des Hauses Habsburg-Lothringen. Die anderen Staaten, außer dem Königreich von Sardinien, wurden von der österreichischen Armee gestützt. Nach historischen Quellen wollte Metternich einen italienischen Bund schaffen, aber der Kaiser unterstütze ihn nicht. In diesem Zeitalter war Österreich das Symbol der Restauration. Obwohl es in der so genannten „Vormärz“ Epoche ein wirtschaftliches Wachstum gab, war die italienische Elite mit der Herrschaft Österreichs nicht einverstanden. Im Vergleich mit dem 18. Jahrhundert wurde Österreich konservativer. Die Freiheit der Presse war begrenzt und die Italiener konnten nur selten Regierungssitze bekommen. Die Epoche des aufgeklärten Absolutismus war beendet, und der neue Kaiser wollte keine liberalen Reformen einführen. Die Lombardei war eine der reichsten Regionen der Monarchie und forderte mehr Autonomie. Die napoleonische Epoche hatte eine neue Ideologie erschaffen, das heißt den Nationalismus. Die Italiener wollten ein vereintes Italien ohne ausländische Herrschaft, deshalb gab es die fünf Tage von Mailand und der erste Unabhängigkeitskrieg begann. Trotzdem war das Königreich Sardinien zu schwach, um gegen Österreich ohne Alliierte zu kämpfen, deshalb konnte Radetzky die Piemontesen besiegen. Derselbe Radetzky wurde Gouverneur des Königreichs Lombardo-Venetien. Seine Regierung war autoritär und stark von der Armee beeinflusst. 1857 beschloss der neue Kaiser, Franz Joseph, die Beziehungen zu den italienischen Untertanen zu verbessern. Deshalb nominierte er seinen liberalen Bruder Maximilian (der später Kaiser von Mexiko wurde) zum Gouverneur von Lombardo-Venetien. Maximilian begann ein Entgegenkommen zu den italienischen Patrioten und plante verschiedene liberale Reformen, um die Wirtschaft und die Autonomie von Lombardo-Venetien zu verstärken. Seine Reformen wurden jedoch von der Zentralregierung verhindert, deshalb war sein Erfolg schwächer als erwartet, obwohl er bei vielen Italienern beliebt war. Gleichzeitig verlor Österreich die Stütze Russlands und Preußens. Als Metternichs Alleanzystem vernichtet wurde, war Österreich geopolitisch isoliert, deshalb konnte das Königreich Sardinien sich zuerst mit Frankreich und später mit Preußen alliieren. 1866 hatten die Habsburger ihre Hegemonie in Italien definitiv verloren, und Italien war eine neue europäische Macht. Triest und Trient blieben Teil der Monarchie, deshalb konnten sie an der letzten Phase der habsburgischen Geschichte teilnehmen.

Nach der tragischen Niederlage von Königgrätz (1866) wurde Österreich von der deutschen Politik ausgeschlossen. Kaiser Franz Joseph begann eine Modernisierung der Monarchie. Das Kaiserreich wurde nämlich zwischen Zisleithanien (von Österreich regiert) und Transleithanien (von Ungarn regiert) geteilt und den Juden und anderen religiösen Minderheiten wurde Gleichberechtigung garantiert. Trotz der ethnischen Konflikte erlebte die Monarchie eine Epoche außergewöhnlicher wirtschaftlicher und kultureller Entwicklung. Triest wurde eine multiethnische Stadt, in der Italiener, Österreicher, Slawen und Juden zusammenlebten und Intellektuelle wie Umberto Saba und Italo Svevo ihre Werke veröffentlichten. Der Ausbruch des ersten Weltkriegs, ein tragischer Fehler der habsburgischen militärischen Elite, hat die Welt der Belle Époque und die Habsburgermonarchie zerstört.

Insgesamt dauerte die habsburgische Gegenwart in Italien fast sechs Jahrhunderte. Ihre Herrschaft war teilweise autoritär, teilweise aufgeklärt, teilweise wohlwollend, aber man kann zweifellos sagen, dass die Habsburger zur Entwicklung des modernen Italiens und seinen Beziehungen zu Europa sehr beigetragen haben.

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Andrea Pradelli

PhD student in Economics at Trento University. Passionate about politics, economics, languages and history, especially the Habsburg Empire.